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Ausstellungsansichten KunstForum Hannah Höch Gotha
Oben: Sebastian Pütz (Foto: Konstantin Bayer)
Unten: Thomas Taube (Foto: Thomas Taube)

Graues Licht und die Gegenwart der Vergangenheit

Doppel-Ausstellung der Landesstipendiaten Bildende Kunst des Freistaats Thüringen | Videoinstallation zum Thema Erinnerungskultur und Zwangsarbeit von Thomas Taube | Künstlerische Fotografie-Forschung von Sebastian Pütz | Begleitprogramm

Pressemitteilung: 28. März 2024

Am 5. April 2024 öffnet die Doppel-Ausstellung der Landessstipendiaten des Freistaats Thüringen im Kunstforum Hannah Höch Gotha ihre Türen. Darin präsentieren Sebastian Pütz und Thomas Taube ihre Arbeitsergebnisse aus dem einjährigen Stipendium, das die Kulturstiftung des Freistaats Thüringen gemeinsam mit der SV SparkassenVersicherung vergibt.

Die Doppel-Ausstellung in Gotha wird von Bianka Voigt und Konstantin Bayer kuratiert. Neben der Katalogpräsentation am 25. April um 17 Uhr wird ein Begleitprogramm mit Führungen und einem Künstlergespräch angeboten. Die Ausstellung ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet, außer an Feiertagen. Der Eintritt in das KunstForum Hannah Höch ist für diese Ausstellung erstmalig kostenlos.

Sebastian Pütz »Graues Licht«

Sebastian Pütz‘ Arbeiten stellen auf verschiedenen Ebenen Fragen nach den Bedingungen und Veränderungen der Fotografie sowie ihrem Verhältnis zu anderen bildgebenden Verfahren. In seiner aktuellen Arbeit „PHOTO“ befasst er sich mit den Schnittstellen zwischen den Techniken und Materialien analoger und digitaler Fotografie, um daraus eine hybride, fotobasierte Vorgehensweise zu entwickeln.

Dabei entfernt er die Farbe aus den Patronen eines Tintenstrahldruckers und befüllt diese mit Entwicklerflüssigkeit aus dem analogen Fotolabor. Diese Flüssigkeit wird durch den Drucker auf fotochemisches Fotopapier gesprüht und setzt einen Entwicklungsprozess in Gang, wodurch ein Bild entsteht.

Reh-Porträt und Gerhard Richter

Motivisch bedient sich Pütz beispielsweise für sein Bild „Deer in the snow“ (aus der Serie „PHOTO“) bei einem gleichnamigen Werbebild des Kamera- und Filmherstellers Kodak von 1963. Auf dem im New Yorker Grand Central Terminal präsentierten großformatigen Leuchtbild, ist eine vermeintlich zufällige Szene mit Rehen in einer Schneelandschaft zu sehen, wobei Tierpräparate und ein aufwendiges Foto-Set zum Einsatz kamen. Pütz verwendet für seine Arbeit einen Ausschnitt dieser Szene - ein Rehportrait.

Haben ein Teil der Bilder der Serie „PHOTO“ ursprünglich eine Referenz in der Wirklichkeit, kommt für die Wolkenbilder Künstliche Intelligenz zum Einsatz. Sebastian Pütz fordert die Bildgenerierungssoftware auf, Bilder im Stil des amerikanischen Fotografen Robert Adams und des deutschen Malers Gerhard Richter zu erstellen. Die beiden Künstler haben Sebastian Pütz im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung immer wieder interessiert.

Während Sebastian Pütz bei der Serie „PHOTO“ keine eigenen Fotografien verwendet, schleift er für die zweite Arbeit „ANALOG“ die Oberflächen von selbst angefertigten Fotoabzügen ab. Das gewonnene Pulver bindet Pütz mit Acryldispersion und trägt es auf Leinwände auf. So entstehen aus dem reproduzierbaren Medium Fotografie einzigartige monochrome Malereien.

Thomas Taube »Stream«

In seiner vielschichtigen Videoinstallation beschäftigt sich Thomas Taube mit Strömungen anhand des KZ-Außenlagers im thüringischen Artern (Kyffhäuserkreis). „In dem ab August 1944 bestehenden Außenlager des KZ Mittelbau mussten Häftlinge für die Stahlkonstruktionsfirma Gollnow und Sohn Zwangsarbeit leisten und u. a. Ausstattung für die Bodenteile der A4-Rakete herstellen. Bis Kriegsende starben von den etwa 350 Häftlingen mindestens 40 Menschen infolge von Krankheit, Unterversorgung und Misshandlungen“, erklärt Dr. Stefan Hördler. Der Historiker hat Thomas Taube während seines Stipendiums fachlich zum Thema beraten.

„Stream“ nähert sich dem Ort in vier Perspektiven: In der ersten, biografischen Strömung, kommt eine Ur-Enkelin eines KZ-Zwangsarbeiter zu Wort, wobei die darin erwähnten Biografien keine Einzelschicksale darstellen, sondern als Hybrid aus Briefen, Berichten und Dokumenten, die der Künstler im Rahmen seines Stipendiums recherchiert hat, geformt sind.
Im zweiten Kanal befasst sich Taube mit dem Wandgemälde „Artern an der Wende älterer und neuerer Zeit“ von Otto Engelhardt (1884–1965) aus dem Jahr 1929. Der Künstler, der sich ab 1910 auf Anraten des jüdischen Malers und Grafikers Max Liebermann (1847–1938) Engelhardt-Kyffhäuser nannte. Später avancierte Otto Engelhardt-Kyffhäuser zum NS-Propagandamaler und von Joseph Goebbels auf die sogenannte Gottbegnadeten-Liste gesetzt. Das acht Meter breite Gemälde, welches im Rathaus von Artern ausgestellt ist, zeigt eine Ansicht auf die Stadt wie es sie nie gegeben hat. Anhand des Gemäldes stellt Taube Fragen nach Repräsentation und Konstruktion von Geschichte und Gegenwart.

Hinzu kommt die dritte Perspektive, die sich auf den Ringerverein AC Germania Artern, der mit seiner Turnhalle einen sozialen Ort für Jugend- und Integrationsarbeit darstellt, richtet. In der Turnhalle – und hier verschränken sich die zweite und die dritte Strömung – wurden die Zwangsarbeiter des KZ Artern untergebracht. Engelhardt-Kyffhäusers Gemälde wiederum zeigt das Panorama der Stadt Artern aus Perspektive der Turnhalle gesehen. Auf dem Weg zu ihrer Unterkunft mussten es die Häftlinge täglich passieren.

Die Verwobenheit von Vergangenheit und Gegenwart am Beispiel Artern

„Das Außenlager Artern befand sich – wie Hunderte andere – inmitten der deutschen Gesellschaft, inmitten der Kommunen und vor den Augen der Einwohnerinnen und Einwohner“, ordnet Stefan Hördler, der an den Universitäten in Göttingen und im englischen Huddersfield lehrt, ein. „Thomas Taube setzt sich mit seinem Projekt daher auch mit der Nähe zwischen den Räumen der Gewalt wie dem KZ-Außenlager Artern und der lokalen Bevölkerung auseinander: Er reflektiert stellvertretend für das flächendeckende Netz von KZ-Außenlager im Nationalsozialismus die Frage, wie und warum trotz der offensichtlichen Gewalt und des Wissens um die NS-Verbrechen eine breite Unterstützung oder gar eigene Beteiligung bis zum Ende der NS-Herrschaft andauerte.“

Neben messbaren, belegbaren und faktischen Strömungen bringt Thomas Taube auch eine eigene Sicht auf den Ort ein. „Stream“ ist deshalb nicht etwa eine dokumentarische Videoarbeit über das ehemalige KZ in Artern – es wir hier zum Stellvertreter für unzählige Orte in Deutschland und weltweit. In dem knapp 60-minütigen Loop fallen Gegenwart und Geschichte zusammen: Womit fängt es an, was bleibt in der Erinnerung konstant, was wird überschrieben? Im Ausstellungsraum treffen die vier Strömungen in den Video- bzw. Audiokanälen aufeinander. In langen Kamera-Einstellungen, mal in dunklen Nachbildern, akustisch mal chorisch oder sich abwechselnd. Der Künstler selbst ist in der Installation – wenn auch nicht direkt sicht- oder hörbar – präsent und rückt die Betrachter physisch ins Zentrum, die mit ihrem Wissen und ihren eigenen Bilderströmen zu einem Teil der Videoinstallation werden.

Werkinformationen

4-Kanal-Videoinstallation, ca. 60 Minuten (Loop), 4K, 2024 / mit Mona Vojacek Kaper/ Buch, Regie, Schnitt: Thomas Taube/ Komposition: Gregor Pfeffer/ Arrangement Vocals: Pinkas Commichau / Color-Grading: Enrico Wittich

Informationen und Begleitprogramm

Ausstellungszeitraum: 5. April — 25. Mai 2024

Öffnungszeiten: Täglich 10—17 Uhr, an Feiertagen geschlossen

Der Eintritt ist frei.

Im Rahmen der Ausstellung laden wir herzlich zu folgenden Veranstaltungen ein:

25. April, 17 Uhr

Katalogpräsentation mit Redebeiträgen von Dr. Verena Titze-Winter (SV SparkassenVersicherung), Tina Beer (Staatssekretärin für Kultur), Prof. Dr. Kai Uwe Schierz (Direktor der Kunstmuseen der Stadt Erfurt), Johanna Adam (Kuratorin an der Bundeskunsthalle Bonn), Dr. Stefan Hördler (Universität Göttingen/University of Huddersfield) und Musik von Albert Fiedler und
Tommy Neuwirth.

26. Mai, 15 Uhr

Künstlergespräch zur Finissage

Führungen finden am 7. April und 28. April jeweils um 15 Uhr statt.

Weitere Informationen zu den Thüringer Landesstipendien finden Sie hier.