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Welthaltigkeit und Provinz.

Katja Lipfert verweist in ihrem Gastbeitrag zur Lage im Land auf die notwendige Freiheit in Kunst und Gesellschaft.


Publiziert in: Thüringische Landeszeitung, 15. März 2024

„Von der Welthaltigkeit der Provinz“ ist der Titel eines Buches zu Harald Gerlach, das im Rahmen der Verleihung unseres Literaturstipendiums Mitte Februar vorgestellt wurde. Die Auszeichnung, die nach eben jenem Thüringer Literaten Harald Gerlach benannt ist, ging in diesem Jahr an Fabian Saul, der im Eichsfeld aufgewachsen ist. In der Bildenden Kunst erhalten in diesem Jahr zwei Künstler, die abseits der Thüringer Städtekette leben und arbeiten, ein Stipendium: Tanja Pohl aus Greiz und Timo Behn aus Rudolstadt. Sie zeigen – wie viele andere Projekte und Stipendiaten, die die Kulturstiftung in diesem Jahr fördern kann – in der Provinz liegt Potential. In einem Bundesland, dessen Fläche zu 90 Prozent als ländlicher Raum bezeichnet wird, sollte das auch nicht verwundern.

Und doch bedarf es eines, ja unseres Bekenntnisses als Einrichtung zur Förderung zeitgenössischer Kunst und Kultur, dass unsere Mittel auch kleineren Projekten und Initiativen auf dem Land zugutekommen müssen. Damit ermöglichen wir gesellschaftliche Verständigung, fördern Dialog, Vielfalt und Multiperspektivität und schaffen Orte, an denen Nicht-Wissen zu Wissen wird. Mit diesem Bekenntnis untermauern und stärken wir auch die Demokratie! Denn in der Freiheit der Kunst spiegelt sich die Freiheit einer Gesellschaft wider.

Was Freiheit heute bedeutet, sehe ich in der Vielfalt der Anträge, die im vergangenen Jahr eingegangen sind. Vermehrt ist eine Hinwendung zur Auseinandersetzung mit politischen Themen abzulesen, was im Wahljahr niemanden wirklich verwundern kann. Viele Akteurinnen und Akteure, mit denen ich in den letzten Wochen und Monaten gesprochen habe, brennt die Frage, wie die Förderung ihrer Projekte und damit die Kulturlandschaft Thüringens nach der Wahl im September aussehen wird, unter den Nägeln. Und was soll ich sagen? Mir geht es nicht anders. Staatliche Kulturförderung ist keine Selbstverständlichkeit. Und so betrifft die Sorge nicht nur die Höhe der Zuwendungen – schließlich ist Kulturförderung als freiwillige Leistung eines Landeshaushalts (und eines jeden kommunalen Haushalts) gerade in Zeiten knapper öffentlicher Kassen ohnehin gefährdet. Die Sorge betrifft auch die inhaltliche Einflussnahme: Ein auf Abschottung verengter Kulturbegriff, der die deutsche kulturelle Identität als alleinigen Maßstab anlegt und Vielgestaltigkeit als Ideologie abtut und leugnet, gefährdet den sozialen Frieden mehr, als dass er „unsere“ Kultur damit zu schützen beabsichtigt. Ein solcher Kulturbegriff ist kein echter Kulturbegriff und kann damit auch keine Grundlage für eine echte Kulturförderung sein, wie ich sie verstehe.

Kultur ist Austausch und Offenheit in alle Richtungen. Dies ist es, was ich und was wir in der Kulturstiftung fördern wollen. Nur so bergen wir das Potential, das die Kultur in Thüringen seit jeher trägt: Welthaltigkeit und Provinz.